Gefährdete Arten: Wie NFDI4Biodiversity Daten für die neue Rote Liste der Süßwasserfische aufbereitet hat

Sie sind ein wichtiger Gradmesser für den Zustand der Artenvielfalt: die Roten Listen. Üblicherweise beruhen diese auf Einschätzungen von Expert:innen, die die Bestandsentwicklungen beobachten und einordnen. Doch auch Daten können die Listen sinnvoll ergänzen – wenn sie geeignet aufbereitet wurden. Ein spannendes Fallbeispiel zeigt, wie Forschende des NFDI4Biodiversity-Netzwerks dazu beigetragen haben, Daten aus verschiedenen Bundesländern zu mobilisieren und zum ersten Mal für die Rote Liste nutzbar zu machen – und wie der Naturschutz von gut verfügbaren Daten profitieren kann.
Rote Listen spielen eine bedeutende Rolle in der Naturschutzforschung, indem sie für diverse Artengruppen existieren. Ihr Hauptziel besteht darin, die Prioritätensetzung im Naturschutz zu unterstützen und somit eine grundlegende Basis für praktische Schutzmaßnahmen zu liefern. Die Listen erfüllen insofern nicht nur eine wissenschaftliche Funktion, sie dienen auch dazu, die Öffentlichkeit über den Zustand unserer Natur zu informieren.
Wichtig ist dabei, dass Rote Listen regelmäßig aktualisiert werden – idealerweise alle zehn Jahre. Durch diese Aktualisierungen kann sichergestellt werden, dass die Informationen, die sie bereitstellen, stets auf dem neuesten Stand sind. Dies wiederum trägt dazu bei, effektive Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten zu ergreifen und die Bemühungen im Naturschutz kontinuierlich zu verbessern.
Die neue Rote Liste der Süßwasserfische
Kürzlich ist – zum ersten Mal nach 14 Jahren – die neueste Rote Liste für Süßwasserfische und Neunaugen erschienen. Eine Aktualisierung war also dringend erforderlich. Doch nicht nur die Liste selbst ist neu, auch ihre Entstehung ist ein Novum: Zum ersten Mal enthält sie eine datenbasierte Analyse der Bestandstrends vieler Fischarten für den Zeitraum von 2004 bis 2020, die von Akteuren aus NFDI4Biodiversity eingebracht und vorangetrieben wurde.
Bewertungsfaktoren und Herausforderungen
Doch von vorn. Wie entsteht so eine Rote Liste eigentlich?
Um eine Art in eine der Rote-Liste-Kategorien (von "ausgestorben oder verschollen" bis "ungefährdet") einordnen zu können, werden der langfristige Bestandstrend (die letzten 100 Jahre), der kurzfristige Bestandstrend (die letzten 15 Jahre), die aktuelle Bestandssituation und die Gefährdungsursachen bewertet. Obwohl Bestrebungen bestehen, Rote Listen zunehmend durch Daten getriebene Analysen zu ergänzen, basieren diese Einschätzungen aktuell in den meisten Fällen noch rein auf ExpertInnenmeinungen. Das gilt bislang auch für die Rote Liste der Fische, an deren Entstehung fast 60 ExpertInnen aus allen deutschen Bundesländern beteiligt waren.

Datenmangel in Süßwasserökosystemen
Insbesondere für Süßwasserökosysteme gibt es dabei einen Mangel an leicht verfügbaren Daten. Dies hat verschiedene Gründe, etwa die erschwerte Aufnahme von Daten "unter Wasser", für die spezielle Geräte und Techniken nötig sind. Ein weiterer Grund ist, dass in den Bundesländern unterschiedliche Datenstandards vorliegen, die Daten also überall anders verwaltet werden. Die Zusammenführung der Daten wird dadurch massiv erschwert. So ist es etwa aufwändig, die Daten aus der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die als solide Grundlage für robuste Einschätzungen der Populationstrends der letzten 15 Jahre gelten und bundesweit erhoben werden müssen, 1) zwischen verschiedenen Bundesländern zu harmonisieren, und 2) mit anderen Daten, etwa aus dem Flora-Fauna-Habitat Monitoring oder anderen Befischungen, zu verknüpfen.
Mobilisierung und Veröffentlichung der Daten mit Unterstützung von NFDI4Biodiversity
Die Erstellung der aktuellen Roten Liste stellte ein umfassendes Arbeitspaket dar, das die Mobilisierung und Analyse der WRRL-Daten als zusätzliche Grundlage für die Experteneinschätzungen beinhaltete. Mit tatkräftiger Unterstützung von Mitarbeitenden aus dem NFDI4Biodiversity-Projekt wurde ein erheblicher Aufwand betrieben, um die Daten aus verschiedenen Bundesländern zu sammeln, zu vereinheitlichen und abschließend zu analysieren.
Parallel zur Entstehung der Roten Liste wurde auf Initiative von NFDI4Biodiversity erfolgreich darauf hingearbeitet, den einmal zusammengetragenen Datensatz FAIR+ zu publizieren. Diese Initiative unterstreicht das Bestreben, nicht nur eine Rote Liste zu erstellen, sondern auch den Datensatz transparent, zugänglich und FAIR (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) zu gestalten, um einen breiteren Nutzen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu gewährleisten.
Das Ergebnis dieser Bemühungen ist ein neuer Datensatz, der Daten aus zwölf Bundesländern vereint (ausgenommen sind Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Hamburg). Der Datensatz wurde über den NFDI4Biodiversity-Partner Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels archiviert und veröffentlicht und ist somit in dem internationalen Netzwerk Global Biodiversity Information Facility (GBIF), die Informationen zur Biodiversität aus zahlreichen Datenbanken in einem zentralen Portal zusammenfasst, und letztendlich auch im Lebendigen Atlas der Natur Deutschlands, einem im Konsortium entstandenen Artensuchportal, verfügbar und herunterladbar.
Der veröffentlichte Datensatz umfasst
- den Zeitraum 2004 bis 2020
- mehrere tausend Messstellen, die mindestens zweimal beprobt wurden
- überwiegend Daten aus der Elektrofischerei
- hauptsächlich Messungen in Flüssen
- durch Expert:innen bestimmte Arten
- punktgenaue Abundanzdaten

Datenharmonisierung – ein Schlüssel zur Verbesserung des Naturschutzes
Rote Listen sind komplex und erfassen Bestandstrends über lange Zeiträume, die oft mehr als 100 Jahre umspannen, sowie aktuelle und wahrscheinliche zukünftige artenspezifische Bedrohungen. In NFDI4Biodiversity haben wir uns bemüht, die für die Rote Liste der Süßwasserfische zusammengetragene Datengrundlage so öffentlich zugänglich zu machen, dass sie langfristig nutzbar bleibt – zum Beispiel als Referenz für die nächste Rote Liste der Süßwasserfische.
Die Harmonisierung von Datenbeständen aus verschiedenen Bundesländern ist nach wie vor ein aufwendiger Prozess und erschwert in vielen Fällen die Akkumulation von Daten als Grundlage für Rote Listen und andere nationale Naturschutzmaßnahmen. NFDI4Biodiversity strebt an, diese Situation zu verbessern.
Das Fallbeispiel zeigt, dass Daten und Berechnungen die Arbeit von Expert:innen sinnvoll ergänzen. Viele der Kriterien für Rote Listen, wie langfristige Trends und Gefährdungsursachen, bedürfen allerdings nach wie vor der Beurteilung durch erfahrene Fachleute. Das Wissen der Expert:innen ist gerade auf regionaler Ebene unerlässlich und bleibt auch für die Interpretation der Datenauswertungen ein essenzieller Faktor.
Der Autor dieses Beitrags war maßgeblich an der Mobilisierung der für die Rote Liste genutzten Daten beteiligt. Mehr über ihn erfahren Sie im Autorenprofil unter diesem Text.
Rote Liste und Gesamtartenliste der sich im Süßwasser reproduzierenden Fische und Neunaugen (Pisces et Cyclostomata) Deutschlands (Freyhof, J.; Bowler, D.; Broghammer, T.; Friedrichs-Manthey, M.; Heinze, S. & Wolter, C.), 2023, Naturschutz und Biologische Vielfalt, 170 (6): 63 S. https://www.rote-liste-zentrum.de/files/NaBiV_170_6_1_RL_Suesswasserfische_und_Neunaugen_2023_20230727-1835.pdf